Der Lottogewinn

 

Bis weit in die 1970er Jahre gab es in den Bachorten zwei Tankstellen, obwohl die Anzahl der Fahrzeuge weitaus geringer war als heute. Eine Tankstelle war beim Schmied in Weichs, die zweite bei der Wagnerei Heinrich Schiegl in Haimelkofen. Da der Schmied auch zwei hübsche Töchter hatte, die nach Feierabend an der Tankstelle aushalfen, tankte ich meinen alten Taunus gerne in Weichs. Mein Vater Konrad war Freund und Sangesbruder im Kirchenchor vom Hein. Er holte sich vor allem das Mischungsbenzin für seinen NSU Quickly und die Motorsägen in Haimelkofen. Zwischen den Tanksäulen befand sich ein weißer Klingelknopf. Meist kam aber Heinrich schon von selbst aus der Wagnerei. Mit einer für ihn typischen Handbewegung rieb er abwechseln eine Faust in der anderen Handfläche. Er war immer froh gelaunt. Fremde Kunden hießen bei ihm Fritzl oder Barbara und die Frage nach dem Wohnort war obligatorisch.

Beim Tanken einer Mischung kam erst das Öl in den Glaszylinder. Es dauerte immer ein wenig, bis der Sprit per Handpumpe mit einer Schaumfontäne in das Schauglas hochgepumpt und der Kraftstoff gemischt war. Nachher lief die Mischung über Schwerkraft durch den Schlauch in den Mopedtank oder den mitgebrachten Kanister. Die Zeit wurde gerne für Gespräche über aktuelle Ereignisse in der Dorf- und Weltpolitik genutzt. Alle Neuigkeiten liefen beim Heinrich zusammen.

Eines Tages kursierte das Gerücht im Dorf, dass eine junge Familie zahlungsunfähig sei, und das obwohl es erst Anfang des Monats war. Sie wohnten günstig in einem schönen Haus mit Garten und hatten zwei kleine Kinder. Das war kaum zu glauben, da der Mann Johann Beamter im Staatsdienst war. Die Frau musste schon mehrfach beim Metzger, beim Bäcker oder beim Kramer anschreiben lassen. Sie hatte entweder den Geldbeutel vergessen oder die falsche Handtasche dabei. Ihr war das immer äußerst peinlich. Auch Johann hatte an der Tankstelle schon mehrfach auf Pump getankt. Man erzählte sich, dass der Mann in zweifelhafte Geschäfte verwickelt war oder auf zu großem Fuß gelebt hatte. Die Geschäftsleute verständigten sich schon untereinander, wie sie weiter verfahren sollten. Zwar ging es um keine hohen Beträge, dennoch fürchteten einige um ihr Geld.

Das war natürlich auch ein Thema an der Tankstelle. Heinrich erzählte meinem Vater, was er so alles gehört hatte. Da mein Vater Johann W. von der Arbeit her kannte, glaubte Hein von ihm mehr Einzelheiten zu erfahren. Mein Vater hörte nur zu, bezahlte seine Rechnung und trat das Moped los. Schon im Wegfahren wandte er sich kurz zu Heinrich um und meinte: "Ich sag nur Lotto" und fuhr weg. Heinrich wollte ihn noch aufhalten um genaueres zu erfahren, aber er war schon fort.

Als zwei Tage später Frau W. schüchtern den Metzgerladen betrat, wurde sie schon an der Tür freudig begrüßt. Sie bekam alles, was sie bestellte. Sie musste sich nicht erklären. Das Anschreiben wurde von der Metzgerin angeboten. Sie wunderte sich, da es ihr beim Bäcker und im Lebensmittelgeschäft ähnlich erging.

Ein weiteres Gerücht ging im Dorf herum, dass jemand aus Hofkirchen im Lotto gewonnen habe. Andere wussten es schon genauer, dass die Familie von Johann W. gewonnen hat. Die Höhe des Gewinns steigerte sich von Stunde zu Stunde. Zuerst sprach man von vier Richtigen, dann von fünf, sogar mit Zusatzzahl. Schließlich gab es keinen Zweifel, es müssen sechs Richtige gewesen sein. Die Gewinnhöhe mindestens eine Million DM. Dass die Auszahlung eines Millionengewinns ein paar Tage dauerte, das war klar. Die Kreditwürdigkeit war jedenfalls diesesmal wieder hergestellt.

Es war bereits November und Ende des Monats kam wieder eine Überweisung und dieses mal sogar mit dem 13. Monatsgehalt. Nach und nach wurden die Schulden in den Geschäften bezahlt. Alle kamen zu ihrem Geld und der Weihnachtsfriede war hergestellt.

Aber was war jetzt mit dem Lottogewinn? Hat es ihn tatsächlich gegeben oder handelte es sich nur um ein Gerücht, das sich selbständig gemacht hatte? Bald gab es neue Geschichten zu erzählen und der vermeintliche Lotteriegewinn geriet in Vergessenheit.

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